Dienstag, 29. November 2011

Buchbesprechung: Vladimir Pištalo "Millennium in Belgrad".

Vladimir Pištalo zeichnet im Prolog zu seinem Roman „Millennium in Belgrad“ die immer wieder in die Stadt zurückkehrende Zerstörung als einen Fluch der Götter, als Strafe für den Menschen, der sich von ihrer großen Kreation abgewendet hat. Statt eine Stütze für ihren Bewohner soll sie auf ewig eine offene Wunde sein.

Erzählt wird die Geschichte von fünf Jugendlichen, die 1980 der Beerdigung Titos indifferent per Fernseher beiwohnen, und ihres Erwachsenwerdens und ihrer Zerrüttung in den folgenden zwei Jahrzehnten – analog zum Niedergang Jugoslawiens und vor allem seiner Hauptstadt, aus der heraus Gewalt gesät wird, um Zerstörung in sie zu bringen. Milan, der Erzähler, Zora, Bane, Boris und Irina sind Teil der Generation nach Tito, desillusioniert von der Inszenierung einer schon vor ihrem Führer gestorbenen Ideologie und zukunftslos in einer im Zerfall befindlichen Gesellschaft. „Ich habe etwas zu sagen, aber ich weiß nicht wie“, beschreibt Bane nicht nur seine musikalischen Perspektiven. Der Sturz in den New Wave, in Liebe, Bier und Sex ist nicht Ausdruck eines letztes Aufbäumens, sondern einer Flucht ins Unpolitische, einer extremen Form des Wartens auf den großen Knall.

Genauso kaputt wie der Staat und die meisten seiner Menschen sind auch ihre Familien. Gegenüber dem Gebrüll des „aggressiven Faschisten im Wohnzimmer“, dem Fernseher, von dem sie entweder betäubt oder angestachelt werden, resignieren sie in ihrer schrumpfenden Existenz oder stimmen triumphierend ein. Als sich 1991 endlich die Spannung entlädt und der Krieg in Slowenien und Kroatien ausbricht, wird Bane zum Militärdienst eingezogen. Er, der als einziger der Gruppe in die Emigration hätte flüchten können, fügt sich der ihm zugewiesenen Rolle und zerbricht, als sich in Vukovar Menschen, die zehn Jahre zuvor gemeinsam um Tito trauerten, zum Sound des New Wave gegenseitig umbringen. Er verlässt das Land, das mit sich selbst darum kämpft, Länder zu sein.

Zora zieht sich immer vehementer in eine idealisierte Traumwelt zurück, ihre Beziehung zu Boris geht an dessen entgegengesetzter Entwicklung, hin zum Gläubiger des nationalen Wahnsinns, zugrunde. Auch Milan und Irina entfremden sich, er betrachtet den sie alle längst nicht mehr nur umgebenden Zerfall immer hilfloser, während sie zurück zum Heroin flüchtet. Der Erzähler bilanziert treffend: „Ich habe schon gesagt, dass das eine Geschichte vom ständigen Wegbrechen der Stützen ist“. Boris geht nach Bosnien, kehrt als versehrter Kriegsgewinnler zurück und macht Karriere in der Belgrader Unterwelt. Hier scheint es, als drohe Pištalo den Bogen zu überspannen und die fünf Personen auf Archetypen ihrer Generation zu reduzieren. Wieviel hatte der Freundeskreis zuvor gemeinsam, als dass sich dessen Mitglieder so weit voneinander entfernen würden? Doch genau da schließt die Analogie zum Land: Wieviel hatten die Menschen Jugoslawiens zuvor gemeinsam, als dass sie sich einmal in solcher Unbarmherzigkeit gegenüberstehen würden?

Beraubt aller Stützen, wird am Ende des Romans die Wunde Belgrad erneut aufgerissen. Der Krieg kehrt nach Hause zurück und Milan hadert mit dem Schicksal der Stadt, das auch seines ist. Doch bricht kurz darauf ein neues Millennium an und mit ihm die Chance, den Mensch mit den rachsüchtigen Göttern zu versöhnen.

Das Buch ist, übersetzt von Brigitte Döbert, im März 2011 in der Edition Balkan des Dittrich Verlags erschienen. Die Veröffentlichung des Originals „Milenijum u Beogradu“ liegt bereits zwei Jahre zurück. Sein Autor Vladimir Pištalo wurde 1960 in Sarajevo geboren und wuchs in Mostar, Kraljevo und Belgrad auf. Für seinen Roman „Tesla, portret među maskama“ („Tesla, ein Porträt zwischen den Masken“, bisher nicht ins Deutsche übersetzt) erhielt er 2008 den NIN-Preis. Heute lebt er in Worcester (Massachusetts, USA) und Belgrad.

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