Samstag, 21. Januar 2012

Journalismus, oder: Warum Zeitungen in Untertiteln die Beantwortung von Fragen in Aussicht stellen.

Der aktuelle an Relevanz kaum zu unterbietende Journalismusersatz auf ZEIT Online (und offenbar auch der gedruckten Ausgabe vom Donnerstag) könnte ebenso mit "Warum früher auch im Kapitänswesen alles besser war", "Wie wir kurz vor Redaktionsschluss gemerkt haben, im Reiseressort fehlen noch ein paar Zeilen und bis Hamburg-Rahlstedt ist es doch gar nicht so weit" oder "Weshalb wir unsere Leser nicht ernst nehmen" untertitelt sein. Karin Ceballos Betancur faselt sich in Rage über Ehre, Verantwortung und große große und kleinere große Schiffe und findet dabei in Uwe Bech, "Kapitän vom alten Schlag", und einer mit Pathos schwanger gehenden Sprache willfährige Kollaborateure.

Angefangen mit der Charakterisierung des Kapitäns als trotz einer 48-jährigen Dienstzeit in sein Fach in fundamentalen Punkten betreffenden Rechtsfragen unbewandert, aber immerhin und immerzu (und immer wieder:) ehrenvoll, die im Stern-TV-Beitrag vermutlich mit Klaviermusik unterlegt worden wäre, während eine Off-Stimme erzählt, was wir sehen; über die zahlreichen Fragezeichen im Text, die einen Hinweis darauf geben, dass der Artikel vielleicht auch in Interviewform hätte veröffentlicht werden können müssen sollen (oder ganz ehrlich: besser gar nicht); bis hin zu der Fakten schaffenden Wortwahl, die zeigt, dass die Unschuldsvermutung zumindest nicht im Qualitätsjournalismus gilt - auch wenn sich die Autorin vergeblich mit Wendungen wie "wenn es stimmt" oder "Meldungen, die ihn der Feigheit bezichtigen" aus der Doppelrolle der richtenden Anklägerin herauszuwinden sucht. Zwischendrin, und überall: Die Egalitäten in Szene setzende Adjektive und sprachliche Bilder aus der Alptraumwelt des "Traumschiffs". "Bech sieht noch immer aus wie ein Bilderbuchkapitän, mit kräftigen Brauen über blauen Augen und noch kräftigerem Händedruck. In seiner rauen Stimme klingt der Norddeutsche durch, aufgewachsen ist Bech in Hamburg-Ottensen, wo die Nebelhörner der Schiffe nachts wie streunende Tiere rufen." Das steht da wirklich so, und das schmerzt.

"Als das Gespräch zu Ende ist, wartet der Kapitän a.D. noch einen Moment an der Tür seines Hauses. Mit verschränkten Armen sieht Uwe Bech dem Taxi nach, das in falscher Richtung in das Ende der Sackgasse fährt. Mit verschränkten Armen sieht er dem Taxi entgegen, als es nach einem Wendemanöver erneut sein Haus passiert. Der Kapitän wartet ab, bis das Taxi auf Kurs ist. Dann geht er ins Haus und schließt die Tür." Als der Artikel zu Ende ist, kann ich ein Würgen und die Autorin die Verschriftlichung des Wunsches, fortan historische Liebesromane bei Bastei Lübbe zu veröffentlichen, nicht länger unterdrücken.

Aus der vielleicht schon zu lange vernachlässigten Rubrik "Zwei Minuten Hass". Früherer Beitrag: "Tatort, oder: Warum mein Kopf schon ganz wundgefasst ist.".

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